Ein fluss, zwei Länder, ein Genuss

Ausflug Natur Genuss

Eines der mächtigsten Flüsse Europas, mit zwei Quellen in den Schweizer Bergen und einer immens reichen Geschichte. Es lohnt sich, die Fahrt gegen die Strömung von Schaffhausen zum Bodensee. 

 

IMG_1665_pt«Starte in Schaffhausen und reise zu Wasser und zu Lande. Mit flinkem Auge, scharfem Verstand und etwas
Reiseglück legst du zuerst im Hafen von Kreuzlingen an.» So steht es in der Spielanleitung von «Schiff ahoi!» Aber davon später, denn zuerst gehen wir in Schaffhausen an Bord, auf ein 170 Tonnen schweres und 47 Meter langes Schiff. In der Fliessrichtung würde uns in wenigen Kilometern der grösste Wasserfall Europas erwarten, der Rheinfall.
Aber wir fahren nun gegen die Stromrichtung zum Bodensee.

Schaffhausen ist unser Ausgangspunkt einer Schiffsfahrt der besonderen Art. Ein schmuckes Hauptstädtchen des gleichnamigen Schweizer Kantons mit dem Wahrzeichen der mittelalterlichen Festung Munot und traumatischen Erinnerungen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, als die Alliierten in der Meinung, es handle sich hier auf der anderen Seite des Rheins bereits Deutschland, Bomben fallen liessen. Die Stadt, reich an Kultur, Gastronomie
und historischen Sehenswürdigkeiten ist auch ohne Schifffahrt eine Reise wert. Unser Fokus ist der Blick vom Schiff auf alles, was an uns vorbeiziehen wird, während der fast fünf Stunden dauernden Fahrt auf der wir 50 Wasserkilometer hinter uns bringen. Die für diese Fahrt zuständige Reederei heisst Schweizerische Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein AG und lässt an vielen Stationen in Baden-Württemberg und den
Kantonen Schaffhausen und Thurgau Reisende mit Fahrrädern und Gepäck, Einkaufstouristen, Familien, Wanderern und Erholungssuchende ein- und aussteigen.

Brückendurchfahrt Diessenhofen


 

Zwei Postleitzahlen und ein Lebensabend in der Klosterkirche


Eine der ersten Anlege-Destinationen klingt nicht nur niedlich, ist irgendwie auch so, das Dorf mit Namen Büsingen. Dieser kleine zu Deutschland gehörender Flecken ist umzingelt vom Hoheitsgebiet Schweiz und die Postanschrift der Gemeindeverwaltung besitzt gleich zwei Postleitzahlen, eine schweizerische mit 8238 und eine baden-württembergische mit 78266; ein Dorf, zwei Staaten aber für wirtschaftliche Belange gilt hier das Schweizer Recht. Doch Post zum Beispiel nach Kiel kann hier mit Euro-Briefmarken eingeworfen werden, viel billiger als in der Nachbargemeinde Diessenhofen, mit teuren Schweizer Porti. Doch bevor wir weiter tuckern sei noch vermerkt, dass die Hintergründe für die Lage von Büsingen komplex und kurios sind; noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten versuchten die Bürgerinnen und Bürger von Büsingen sich der Schweiz anzuschliessen, doch Berlin
gab ihnen keine Chance. Und schon ist in Fahrtrichtung rechts Diessenhofen zu sehen, ein Ministadt mit 4.000 Einwohnern, 1.900 Arbeitsplätzen und mit null Schulden, laut Aussage der Gemeindeverwaltung. Es lohnt sich, der Spaziergang über die aus dem Jahre 1814 stammende Holzbrücke in die historischen Gassen. Ein Besuch des ehemaligen Dominikanerkloster St. Katharinental ist empfohlen und die Klosterkirche überrascht durch den Innenraum,
den man von aussen gesehen, nicht erwartet. In der Klosterkirche erholen sich heute Patienten und verbringen Menschen ihren Lebensabend. Und Kunstfreunde suchen am besten das Amtshaus auf, da ist nämlich Kunst zu sehen.
Kulisse für «Name der Rose» und abonnierbare Luft Die Lage der nächsten Anlegestation unseres Schiffes führte im Krieg zum selben Verhängnis wie Schaffhausen; auch Stein am Rhein wurde irrtümlicherweise am 22. Februar 1945 bombardiert. Es waren Frauen und Kinder unter den Opfern. Heute nennen sich die etwa 3.500 Menschen, die in diesem bildhübschen Städtchen leben, glücklich. Diesen Eindruck bekommt der Reisender beim Flanieren durch die Altstadt. Auch hier gehört ein Kloster, mit Namen Sankt Georgen, zu den Sehenswürdigkeiten, eigentlich eine Perle für alle, die sich bei der Besichtigung des Innenhofes sich gerne im Film «Name der Rose» wähnen möchten. Wissen Sie, was
ein «Luftabonnement» ist? Das gewährt der Tauchclub Rheindive für seine Mitglieder, die es wagen, in die Unterwelt des Rheins zu tauchen.

Halbinsel Höri_Logbuch_URhWenn wir auf Deck stehen und auf die Halbinsel Höri zur linken Seite sehen, mit Hemmenhofen und Gaienhofen, dann ist es nachvollziehbar, dass Künstler wie Otto Dix und der Schriftsteller Hermann Hesse sich gerne hier aufhielten. Die Tiefen der Geschichte wird auch sichtbar durch archäologische Ausgrabungen, die sei 2011 auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes stehen. Falls Sie aussteigen möchten um einzukehren, dann nehmen Sie Euro mit, denn wir sind hier wieder in Baden-Württemberg.

 

Vom Amazonas-Gefühl ins Kleinod für Literatur

Auf dieser Flussfahrt, in der man sich oft auch mal auf dem Amazonas wähnen könnte, dank Auenwäldern und vorbeisegelnden Reihern oder überfliegenden Gänsesägern, scheint das Weltkulturerbe der UNESCO omnipräsent zu sein. Zum Glück, sonst würde das prächtige Benediktinerkloster aus dem Mittelalter auf der «Riichenau» nicht erhalten geblieben. Die Rede ist von der deutschseitig liegenden Insel Reichenau mit ihrer Länge von 4,5 und einer Breite von 1,6 Kilometern mit über 3.000 hier lebenden Menschen nebst viel Natur und Landwirtschaft. Im Sommer 1945 wurden viele Bewohnerinnen und Bewohner evakuiert und rund 3.000 französische KZ-Häftlinge aus Dachau verbrachten hier ihre Quarantäne vor der Rückkehr in die Heimat. Heute strahlt die Insel eine Sehnsucht nach Gelassenheit und Ruhe aus, was sie auch zu erfüllen vermag.

Seerhein_Gottlieben_SommerUnser Schiff steuert weiter in Richtung einer Stadt, in der im 15. Jahrhundert sich fast die damalige Welt versammelte, so eine Art WEF, um politische und religiöse Klarheiten zu schaffen. Doch bevor wir dort eintreffen, das im damaligen Streit über den rechtsmässigen Papst keine unwichtige Rolle spielte und heute eine wundersame Ausstrahlung verfügt, auch wenn sie zu den kleinsten Gemeinden der Schweiz gehört, mit ihren 32 Hektaren. Gründe für diese Aura ist nicht nur der Charme der Lage und Architektur, sondern das Haus für Kultur und Literatur, benannt nach dem Dichter von Emanuel von Bodmann, der in demselben lebte.

Das Schwäbische Meer mit einer sich drehenden Imperia

Jetzt, nach dem Untersee wird es auf dem Seerhein etwas schmaler bevor es ins Schwäbische Meer geht, was die Allgäuer gerne hören aber nicht die Badischen und Ostschweizer. Irgendwie fühlt es sich erhaben an, das Stehen bei der Einfahrt in die Stadt Konstanz. Links neue moderne Hotels und Kongresszentren der urbanen Sorte, unterbrochen von gemütlichen Biergärten, rechts Sporthalle, Schulanlagen, Privatbootsclubs und alte mittelalterliche Festungstürme. Nach der Schänzlebrücke, radeln und joggen Studierende der hiesigen Universität über die elegante Fahrradbrücke um dann unter der grossen Rheinbrücke in mit einer weiten Rechtskurve in den Hafen zu gelangen. Links eine Häuserfassade aus der Jahrhundertwende, die oft als Kulisse im «Tatort» diente, rechts am Inselhotel und Konzilgebäude vorbei, die Imperia passierend. Eine mächtige weibliche Statue mit beeindruckendem Dekolleté die auf den Händen zwei nackte Männleins hoch hebt, einer ist ein Kaiser, der andere ein Papst. Eine Art Karikatur des damaligen Konzils der Mächtigen, an dem wohl ein bestimmtes Gewerbe am meisten Geld verdiente. Erschaffen 1993 durch den Künstler Peter Lenk.

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Auch wenn das bunte Treiben an den Gestaden dieser «südlichsten Stadt Deutschlands» zum Verlassen des Schiffes lockt, bleiben wir auf Deck um die letzte Station anzufahren: das schweizerische Kreuzlingen, das eigentlich
mit Konstanz ein Lebensraum ist. Quasi eine Stadt mit zwei Häfen und Währungen. Wobei die Pandemiekrise für Menschen drüben wie hüben für einschneidende Erinnerungen sorgen wird. Hier hatten die Läden und Restaurants offen, da mussten sie schliessen. Freunde und Liebende konnten in der ersten Welle sich nur durch den Maschendrahtzaun sehen und berühren. Für viele hier lebende Menschen ein Ereignis, das sie nie mehr vergessen werden.

Beide Städte bieten je eine Attraktion, als hätten sie sich abgesprochen. Konstanz lädt mit Sea Life in die Artenvielfalt unter Wasser ein, vom Bach bis zum Meer. Und Kreuzlingen lädt zum Blick in die Unendlichkeit über uns ein, durch das einzige Planetarium am Bodensee. So gelangt man zu Fuss durch eine Stadt, in zwei Länder in famose Welten. Wie schrieb Gustav Schwab schon im 19. Jahrhundert? «Des Wanderers Paradies aber ist die ganze herrliche Gegend, von
den üppigen Ufern des Untersees an bis zum majestischen Hochgebirge Vorarlbergs und Tirols, das hinter dem durchschimmernden Obersee und dem felsigen Bregenzer Walde dieses schöne Bild begrenzt.»
Hier endet auch das eingangs erwähnte Spiel «Schiff Ahoi!», doch spielen Sie es nicht an Bord, Sie würden eine fantastische Landschaft verpassen.

Wissen Sie was? Wir steigen hier gleich ins nächste Schiff um und fahren Richtung Nonnenhorn. Kennen Sie es? 

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